Aktuelle Nachricht aus der Region Manabi

27.04.2016 | Erdbeben in Ecuador

Jorge W. Chavez Sanchez, Jugendreferent für Kolping in der Region Manabi hat uns folgende Nachricht per E-Mail zugeschickt.

Liebe Freunde bei Kolping!

Es ist kein guter Augenblick zu schreiben, vielleicht auch nicht zu lesen. Seit Samstag, 16. April, wurde die öffentliche Ruhe,  in der wir in den letzten Monaten lebten, von einem Gemenge schwer zu beschreibenden Emotionen ersetzt. Das Erdbeben in jener Nacht hat uns gezwungen,  unsere Leben zu ändern und alles, was wir bis dahin geplant hatten, zu überdenken.
Meine Worte werden niemals den Schmerz und die Verzweiflung ausdrücken können, die wir durchlebt haben. Portoviejo, die Hautstadt der Provinz Manabi, wirtschaftliches, politisches und soziales Zentrum der Provinz Manabí  wurde im wörtlichen Sinne verwandelt. Die Stadt, „der königlichen Tamarindos“ wie sie auch genannt wurde, hat sich in ein Feld der Verzweiflung und des Todes  verwandelt. In den Straßen der Stadt, vor allem im Zentrum, hört man Schreie über die Toten und Verletzten. Wo früher Häuser standen, sind jetzt Berge von Schutt. „The ground zero“, wie er von den  Verantwortlichen genannt wird, ist unter Militärkontrolle. Heute ist der Gestank nach Toten fast unerträglich (das Wetter mit seiner Hitze und Feuchtigkeit trägt unbarmherzigerweise das seine dazu).
In allen 22 Cantonen von Manabí hat das Erdbeben schwer Schäden verursacht.  Es gibt aber Orte, die schwerer getroffen wurden als andere.  Auch ist in jeder Stadt und jedem Dorf die Skala der Zerstörung  verschieden.  Trotzdem sind die Zeichen der Verzweiflung und der Angst in ganz Manabí dieselben – in ganz Ecuador … .
Das Kolpinghaus in Portoviejo ist vier Blocks vom „Ground Zero“ entfernt. Im Block, wo wir sind, gibt es kein Haus, das keine Spuren der Katastrophe zeigt. Unsere Nachbarn haben ihre Häuser verloren. Bei anderen wurden die Häuser schwer beschädigt. Am Ende des Blocks, in dem das Kolpinghaus steht, war ein Gebäude mit  drei Stockwerken. Im Erdgeschoss befand sich ein Restaurant, in dem gegrillte Hähnchen verkauft wurden. Das Haus gibt es nicht mehr. Es ist verschwunden. Zum Zeitpunkt des Erdbebens war das Restaurant voller Besucher. Auf der anderen Seite der Straße waren eine Zahlstelle und eine Apotheke. Beide hat dasselbe Schicksal ereilt.
Am 17 . April fuhr ich zum Kolpinghaus. Um dorthin zu kommen, musste ich verschiedene Umwege machen. Ich kam am ehemaligen Restaurant vorbei. Dort waren viele Menschen, Polizei und Maschinen. Ich erinnere mich gut, aber was ich nicht vergessen werde,  sind die Schreie,  der Menschen, die in den Trümmern  eingeschlossenen waren. Das war für mich das Schwerste des Erdbebens.
Gott sei Dank ist den Mitarbeitern des Kolpinghauses und der Cooperative (Narcisa, Maria Angélica, Annkathrin y Clara, den deutschen Freiwilligen  Miguelito, Gina und mir) nichts passiert. Uns geht es gut. Vielleicht war es uns einfach nicht vorbestimmt. Auch unseren nächsten Familienangehörigen geht es gut. Dies bedeutet aber nicht, dass wir keine weiteren Familienangehörigen, Freunde  oder Bekannten hätten, die ihre Sachen bis hin zu geliebten Angehörigen verloren haben.   Ich habe bis heute noch nichts von einigen Freunden gehört. Sie sind verschwunden und mit jeder Stunde die vergeht, verschwindet die Hoffnung, sie zu finden. Unsere Leben haben sich verändert.
Es sind schon ein paar Tage vergangen, an denen wir nicht mehr ins Kolpinghaus gingen. Es ist beschädigt, wir haben Angst rein zu gehen, jeden Moment gibt es Nachbeben; einige schwerer als andere. Aber mit  jedem Beben wird die Panik des 16. Aprils wieder akut. Es gibt noch keine Grundversorgung mit Wasser oder Strom. Diese wird aber dankenswerterweise langsam wieder hergestellt.
Ich schaue keine Nachrichten mehr an, ich möchte nichts mehr sehen.  Genug damit, es erlebt zu haben und es täglich zu sehen. Wir weinen aus Schmerz, andere aus Unvermögen und andere aus Angst, einige mehr, andere weniger, aber alle weinen wir. Niemand  ist jemals auf eine solche Katastrophe,  die das Leben so grundsätzlich verändert, vorbereitet.
Trotz allem Unangenehmen, das ich euch erzähle, können wir froh sein,  dass unter den Kolpingmitgliedern kein Toter zu beklagen ist.  Wir sind im Rahmen unserer Möglichkeiten zusammen mit Mayra und Dionicio Haus für Haus abgegangen. Allen Mitgliedern geht es soweit gut. Dies gilt für Tabales und Resbalón de Rocafuerte, El Anegado de Jipijapa, Miraflores und Cerro del Cady del 24 de Mayo und die Sektoren von Portoviejo, wo Kolpingsfamilien und die  und Gruppen der Kolpingjugenden sind. Aus  Las Yucas de Olmedo und Manta wurden wir informiert,  aber wir konnten noch nicht dorthin gegen. Eine Gruppe von Anwärtern aus Portoviejo konnten wir  ebenfalls noch nicht kontaktieren. Über Umwege haben wir aber erfahren, dass sie nicht sehr schwer betroffen sind.  Es tut weh, Häuser von Kolpingmitgliedern zu sehen, die vollkommen zerstört sind, viele sind stark beschädigt. Die Leute schlafen auf den Straßen aus Angst, dass ein neues Nachbeben ihre Wohnungen zerstört. Die Jugendlichen der Kolpingjugend versuchen, auch wenn sie selbst betroffen sind,  aus ihrer grundsätzlich positiven Haltung,  die anderen zu ermuntern, mit dem Wiederaufbau der Häuser zu beginnen. Wir bringen was wir haben.  In diesen Situationen wird alles, was wir geben können, gebraucht.
Das Erdbeben war schnell, aber noch schneller war die Solidarität die sich überall zeigte. Sie war da und ist es noch. Beeindruckend ist die Solidarität aller Menschen, die Hilfe die kam – auch wenn die Verteilung noch nicht so organisiert ist, wie es sein sollte – war und bleibt außerordentlich. Dies hat  uns bei Kräften und  auf den Beinen  gehalten und auch geholfen, die Not zu verdrängen.  Wir wissen, dass die Not vorüber gehen wird. Was bleibt ist der seelische Schmerz und Zerstörung. Dies wird sich niemals auslöschen lassen und wird in dieser Generation auf immer Spuren hinterlassen.
Als Teil von Kolping Manabí danke ich für alle Anrufe, jede Nachricht der Unterstützung und Mit-Sorge, die ihr für uns hattet.  Mein Dank gilt allen, die uns nicht  vergessen und die für uns beten. Danke für alle Initiativen und Hilfen. Wir können niemals vergelten, was ihr für uns tut. Aber der ewige Gott wird dies tun.
Ich habe die Karten gelesen,  die von Kolping aus anderen Ländern kamen und uns ihr Mitgefühl aussprechen. Deutschland, war sehr aufmerksam.  Sie haben uns in ihren Gebeten und ihre Hilfe eingeschlossen. Es ist sehr gut zu wissen, dass wir niemals alleine waren und sind.
Es gibt in Manabí ein sehr beliebtes Lied  von einem Fußballverein, das  die „garra manaba“ erwähnt. Dies ist die Einstellung, die uns erlaubt aufzustehen, den Kopf zu heben, den Staub abzuschütteln, die Tränen zu trocknen und mit der Arbeit fortzufahren, um zu helfen nach vorne zu schauen. Wir haben die Begleitung, die Stärke und den Willen und zudem die Liebe Gottes und euch unsere Geschwister und Gefährten. Wir sind Kolping, wir sind Geschwister und über allem Kinder desselben guten Vaters.
Dank für alles, dass ihr uns nicht vergesst,  für eure Gebete und euer Mitgehen und Mitfühlen. 
Ich hoffe, bald wieder zu schreiben und euch zu erzählen, wie es uns hier in unserer Heimat geht. Auch wenn sie schwer getroffen wurde, ist sie so schön wie keine andere. Sie wird auch weiterhin eine Gastfreundschaft für die verliebten Seelen anbieten, wie sie nirgends anders zu finden ist.
Dank an alle, die uns nicht vergessen und uns in ihren Gebeten einschließen.

Jorge W. Chavez Sanchez, Portoviejo, April 2016
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Die Menschen schlafen aus Angst vor neuen Erdbeben und weil ihre Häuser zerstört sind im Freien.
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sammeln im Kolpinghaus Portoviejo Hilfsgüter.